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Artikel in Süddeutsche Zeitung über mich:

"Und jetzt machen wir das mal ohne Wäsche"

von Claudia Wessel

Trend Aktfotografie
 

Das Aktfoto für den persönlichen Gebrauch - die Branche boomt, weil nicht nur Frauen ihre Reize gerne dokumentiert haben wollen.
 

Ein winterlicher Hinterhof in der Landsberger Straße. Festgefrorene Blätter, ein kleiner Weg, der zu einer ebenerdigen Wohnung führt. Klingeln bei "Bacher". Ein Summton erklingt, die Tür geht auf, ein Treppchen führt nach oben, und hinten im Flur erscheint ein Gesicht in der Tür.

Man kann sich vorstellen, wie sich jemand fühlt, der hierher kommt, um sich auszuziehen. Die Schritte durch den dunklen Gang, hinein in die kleine Wohnung. Rechts die Garderobe und hinten links der Weg ins Studio. Ist es hier überhaupt warm genug? Und die Fotografin . . . wird man mit ihr vertraut?

Das Modell ist noch nicht da. Wir besichtigen schon mal das Studio. Ein Raum, von dem zwei Wände ganz in Schwarz gehüllt sind und eine in Weiß. Die vierte besteht aus Fenster und Balkontür, natürlich mit Jalousien. Ein Scheinwerfer, über dem ein weißer Schirm thront, steht in der Ecke. Ein Höckerchen ist für die Zuschauerin vorgesehen.

Im Gang auf dem Tisch liegen Fotobücher. Und Kästen voller Foto-Abzüge der Vorgänger. An der Wand in Groß die besten Ergebnisse. Eine Dame in BH und Slip, auf dem Rücken liegend, ihre Beine wandern die Wand hoch. Ein Rücken mit keck gebogener Hüfte. Ein Busen.

Es klingelt. "Hallo, Lara!", hört man Barbara Bacher, 53, an der Tür. Lara, die eigentlich anders heißt, aber von Beruf Pharmaberaterin ist und ihr kleines Geheimnis vor ihren Kunden bewahren möchte, klingt ziemlich sachlich. Wir sind gespannt. Endlich kommt sie um die Ecke.

​1,80 Meter groß. Lange blonde Haare. Schlank. Die kleine Fotografin mit den ebenfalls blonden, nach hinten gebundenen Haaren und der dicken Brille und das 29-jährige Modell sehen sich zum ersten Mal. Bisher haben sie nur telefoniert.
 

Viele Männer haben heuer unter dem Weihnachtsbaum Fotos der anderen Art von ihrer Angebeteten vorgefunden. In einer Welt, in der ihnen nackte Frauen an jedem Zeitungskiosk begegnen, sollen sie auch einmal diesen ganz bestimmten Blick auf ihre eigene Frau oder Freundin werfen.

Das mag einer der Gründe sein, warum der Trend zur privaten Aktfotografie steigt - und warum Frauen als Modelle noch immer in der Überzahl sind. "Wenn sie mal älter sind, wollen sie die Fotos ihren Kindern zeigen", glaubt Fotograf Peter Eisfeld, für den Aktfotografie "die Krönung meines Metiers" ist, weil "es eben eine schwierige Gratwanderung ist zwischen Kitsch und Kunst". Er hat seine Bilder auf einer Homepage im Internet. "Sehr viele Leute melden sich bei mir und möchten Aktfotos von sich machen lassen", erzählt er. "Aber auch viele, die dafür nicht geeignet sind." Die meisten Frauen, die sich melden, "haben schon immer davon geträumt, einmal solche Bilder von sich zu besitzen".

"Frauen machen es für sich selbst, häufig, um ihr Selbstwertgefühl aufzupeppen." Diese Erfahrung hat Fotograf Stephan Daniel gemacht. Auch Lara sagt: "Ich tarne es als Geschenk, mache es aber für mich selbst." Und das bereits zum zweiten Mal. Schon vor sieben Jahren habe sie einen Versuch gestartet. "Damals hatte mich mein Freund verlassen, und ich habe total an mir gezweifelt. Ich war aber mit den Fotos damals gar nicht zufrieden."

Auch Barbara Bacher, die seit fünf Jahren Aktfotos macht und ihre Modelle via Anzeigen findet, hat die unterschiedlichsten Motive erlebt, aus denen sich Frauen nackt fotografieren lassen. "Einmal kam eine junge Frau zu mir und sagte, seit sie verheiratet sei, begehre sie ihr Mann nicht mehr. Das wollte sie mit den Fotos ändern."

Ein Mädchen kam zusammen mit seinem Freund, weil er zum Studieren in eine andere Stadt gehen musste. Eine andere Frau rief an, weil ihr Freund ihr die Fotosession zum Geburtstag geschenkt hatte. "Kurz nach dem Film ,Calendar Girls' kamen auch einige ältere Frauen, so um Mitte 50. Sonst sind sie meist jünger."


 

Sehr verbreitet sei, verrät Barbara Bacher, der Wunsch von Frauen, sich kurz vor der Hochzeit in Brautwäsche ablichten zu lassen: mit weißen, halterlosen Strümpfen, einem kleinen Schleier und Blumen im Haar.

Doch auch Männer haben ab und an den Wunsch, sich im Adamskostüm für die Nachwelt zu verewigen. Allerdings haben sie oft ein wenig andere Vorstellungen davon als Frauen. "Frauen wollen keine gynäkologischen Aufnahmen. Männer schon eher . . ." Sie finden, auf ein Aktfoto gehöre auch ihr "bestes Stück". Ein junger Mann mit Down Syndrom reiste einmal eigens aus dem Schwarzwald zu einer Fotosession an. Sein Wunsch war, mit Hilfe der Fotos eine Freundin zu finden.

Sind denn alle Modelle mit ihren Fotos zufrieden? Oder gibt es da auch einmal Enttäuschungen? "Eigentlich nicht", sagt Barbara Bacher, und auch die beiden anderen Fotografen versichern: "Bei mir nicht, im Gegenteil, die meisten Leute sind positiv überrascht." Einmal aber, gibt Barbara Bacher zu, habe sie es doch erlebt. "Die Frau war ganz entsetzt, als sie die Bilder gesehen hat. Sie ist regelrecht hinten runtergefallen. Sie wollte ihre Falten nicht sehen." Dabei hätten sich Fotografin und Modell bei der Session so gut verstanden, sei die 39-Jährige vor der Kamera so locker gewesen. Von der Reaktion beim Anschauen der Fotos war Barbara Bacher völlig überrascht. "Ich dachte, die Frau weiß, wie sie ausschaut."

Lara verschwindet jetzt in dem kleinen Bad nebenan. Dann tritt sie in blauer, zarter Wäsche auf den Gang. Die großen, ebenfalls blauen Augen schauen etwas unsicher. Barbara Bacher bugsiert sie ins Studio, zuerst vors Fenster, kneift die Augen zusammen und richtet die Kamera auf sie. "Ja, sehr schön, wie du da stehst, mach schön ein Hohlkreuz, die Hände sind auch sehr schön, dreh nochmal den Kopf her, nicht den Körper." Dann lässt sie die Kamera kurz sinken. "Sie guckt schon noch sehr aufgeregt", sagt sie wie zu sich selbst. "Ehrlich?", wundert sich Lara. "Lachen. Nicht so viel Lachen. Lächeln. Runtergehen ins Knie. Kopf hoch. Ja, schön, prima, ganz toll. So, und jetzt machen wir das mal ohne Wäsche."

Ein bleiches Wesen vor dem schwarzen Tuch, schlank und wohlgeformt, im Hintergrund läuft das Lied "Let"s Talk About Sex". Bleib so, genau so, das ist ein ganz toller Blick. Aber doch, irgendwie guckt sie immer noch ganz aufgeregt. Wir gehen mal lieber.

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